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Ende Gelände August 2017 – As it happened
Fotos und Videos von der Aktion findet ihr hier
Nach langer Vorbereitungszeit und Absprachen mit unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren der Klima- und der Antikohlebewegung fand Ende Gelände im August 2017 im Rahmen vielfältiger Aktionstage statt. Wir waren also dieses Mal Teil einer sehr losen Aktionschoreografie. Für deren Vorbereitung hatten sich Nichtregierungsorganisationen, Parteien, Bürger*inneninitiativen, Blockadebündnisse und autonome Kleingruppen ausgetauscht und organisierten dann – einander in Solidarität verbunden – unterschiedlichste Aktionen gegen die Braunkohleindustrie. So etwas hatte es in der Größe noch nicht gegeben; wir sind uns sicher: das wird es wieder geben! Im Folgenden möchten wir uns den Ende Gelände Aktionen widmen. Andere Akteur*innen werden über ihre eigenen Kanäle über ihre Aktionen berichten oder haben dies schon getan (z.B. unter www.climateactionmap.com).
Am Donnerstagabend verließ eine Gruppe von ca. 150 Menschen das Klimacamp und verschwand spurlos in Erkelenz. Es wurde gemunkelt, dass es sich hierbei um eine erste Regung des Bündnisses Ende Gelände handelte. Ansonsten blieb es von Seiten von Ende Gelände sehr ruhig.
Am Freitagmorgen ging es dann los. Vom Klimacamp aus starteten Busse, die den pinken Finger (mit einigen hundert Menschen) nach Bedburg zum „Camp gegen Braunkohle“ – aka Eastside-Camp – brachten. Das Eastside-Camp war kurzfristig als zweites Basislager für die Ende Gelände Aktionen aufgebaut worden. Dass Leute dort hinfuhren, versuchte die Polizei kurz und erfolglos zu verhindern. Gleichzeitig zu diesem Transfer landeten all jene, die das Camp am Vorabend verlassen hatten, an einem Bahnhof im rheinischen Revier und spazierten als grüner Finger zielstrebig und ohne jeglichen Polizeikontakt zur Nord-Süd-Kohlebahn nahe des Kraftwerks Neurath. Dort blockierte die Gruppe die Gleise an einer strategisch besonders günstigen Stelle und schnitt somit das Kraftwerk von der Kohlezufuhr ab. Der erste Streich war geglückt!
Der pinke Finger war unterdessen in Bedburg angekommen und spazierte von dort Richtung Rath. In diesem Dorf zwischen den Kohle-Kraftwerken Niederaußem und Neurath war eine Mahnwache angemeldet, zu welcher der Zugang legal war. Der Polizei schien das erst einmal nicht zu interessieren und der pinke Finger wurde eine Weile lang festgehalten. Als sich dann alle darauf geeinigt hatten, dass der Finger per Demonstrationszug bis nach Rath laufen durfte, ging’s mit viel Verzögerung weiter.
Vom Klimacamp brach unterdessen unter lautem Jubel der queerfeministische (lila-schwarze) Finger auf und zog durch die Felder davon Richtung Holzweiler. Dort wurde erst einmal eine Picknickpause eingelegt, bevor es weiterging und dem Finger dann relativ schnell und unerwartet der Weg von der Polizei versperrt wurde. Der Finger entschloss sich gegen einen Durchbruch oder das Umfließen der Polizeikette durch die Felder kilometerweit vom Tagebau entfernt und beratschlagte lange, wie es nun weitergehen könnte. Dabei setzte der Finger um, was im Vorfeld angekündigt worden war: eine achtsame Entscheidungsstruktur sowie möglichst wenig Konfrontation und Gerenne. Über Stunden wurden die Aktivist*innen von der Polizei auf einer Kreuzung eingekesselt. Mitten in dieser Situation erreichte und erleichterte sie jedoch die gute Nachricht, dass der orangefarbene Finger auf den Gleisen saß und ein Teil des roten Fingers es in die Grube geschafft hatte. Als klar wurde, dass für die Querfeminist*innen kein Durchkommen möglich war, entschloss sich ein Großteil des Fingers, zum Eastside-Camp zu fahren, um von dort aus am nächsten Morgen mit neuer Kraft zu starten.
Während der lila-schwarze Finger vor Holzweiler auf der Straße saß, bog der rote Finger vom Camp aus Richtung Erkelenz ab. Dabei kam es schon zu Beginn zu ersten Auseinandersetzungen mit der Polizei, die scheinbar der Annahme war, Menschen in weißen Anzügen dürften sich nur auf Feldwegen fortbewegen. Nun ja, so ging es begleitet durch den Polizeitross bis zum Bahnhof Erkelenz. Zum S-Bahn-Fahren – auch das in Begleitung der Polizei. In Rheydt stiegen alle um und in Hochneukirch sollte es dann rausgehen – der Finger befand sich nun nahe der Nordkante des Tagebaus Garzweiler. Weil sich alle der geografischen Nähe zum Tagebau bewusst waren, entschied die Polizei, die Bahnhofsunterführung zuzumachen und alle Aktivist*innen im Bahnhof festzusetzen. Mehrere Dutzend Aktivist*innen beschlossen deshalb, den Bahnhof oberirdisch zu verlassen, verließen das Bahnhofsgelände und bewegten sich sehr zielgerichtet Richtung Tagebau. Allerdings schaffte es auch ein beträchtlicher Teil des Fingers nicht aus dem Bahnhof hinaus und wurde von der Polizei erst stundenlang auf dem Bahnsteig, dann vor dem Bahnhof festgehalten und schließlich zur Gefangenensammelstelle (GeSa) gefahren. Durch diese Maßnahmen wurden nicht nur Dutzende Leute ohne Darlegung von Gründen stundenlang festgehalten – auch der ganze Bahnverkehr musste eingestellt werden.
Eine Gruppe von mehr als 50 Menschen erreichte jedoch nicht nur die Tagebaukante, sondern stieg in den Tagebau hinab. Dabei folgten alle der Ankündigung im Ende Gelände Aktionskonsens, deeskalativ in mögliche Konfrontationen mit dem Gegenüber zu gehen. Leider hatten die Angestellten in der Grube einen anderen Ansatz und schubsten und schlugen Aktivist*innen. Letztlich wurden alle Aktivist*innengekesselt, zum Skywalk nach Jackerath gefahren und dort wieder rausgeschmissen. Pressebegleitung wurde trotz entsprechender Ausweispapiere genauso behandelt wie Aktivist*innen– mit einem Verweis auf Hamburg und „dass die Presse es sich dort versaut hätte“…
Während der rote Finger in der S-Bahn saß, formierte sich auf dem Camp noch ein letzter Finger für Freitag: der orange Finger. Dieser brach in Bussen Richtung Nord-Süd-Kohlebahn auf, genau genommen zur Mahnwache nach Sinsteden. Neben dem grünen Finger hatte sich nämlich inzwischen auch der pinke Finger auf der Nord-Süd-Kohlebahn eingefunden. Der grüne Finger war allerdings schon in der Räumung begriffen.
Der orange Finger landete nachmittags am gewünschten Blockadepunkt und das Kraftwerk Neurath war weiterhin von der Kohlezufuhr abgeschnitten. Im Verlaufe des Nachmittags und des Abends wurden dann alle Schienen durch die Polizei geräumt. Dabei kam es immer wieder zu sehr hässlichen Szenen und erwartbaren, aber natürlich illegitimen Gewaltausbrüchen seitens der Polizei. Während sich die Aktivist*innen in allen Situationen genau so verhielten, wie sie es angekündigt hatten, nämlich deeskalativ, brachte die Polizei Pfefferspray, Schlagstöcke und Schmerzgriffe zum Einsatz. Und dennoch: Insgesamt war die Kohlezufuhr für Neurath an diesem Tag für acht Stunden blockiert und das Kraftwerk musste seine Leistung drosseln.
Ein Großteil der Aktivist*innen, die von den Gleisen bzw. aus dem Bahnhof Hochneukirch abtransportiert worden waren, wurde in Bussen in die Gefangenensammelstelle gebracht, um erkennungsdienstlich (ED) behandelt zu werden, denn das Gros der Aktivist*innen hatte die Identitätsangabe verweigert. Viele Menschen sahen sich in der GeSa und auf dem Weg dorthin Schikanen durch die Polizei ausgesetzt: kein Trinkwasser und stundenlanges Sitzen in Bussen, Beleidigungen, Schmerzgriffe, Schubsereien, Einsitzen ohne Nennung einer Straftat und Aufforderungen zum Ausziehen der Kleidung bei der erkennungsdienstlichen Behandlung. Gut war, dass alle Aktivist*innen noch in der Nacht freikamen und abgeholt werden konnten.
Und nochmal alle zusammen!
Im Laufe des Freitag hatten sich viele Menschen mit Bussen, dem Zug oder Fahrrädern zum Eastside-Camp aufgemacht. Außerdem hatten sich der blaue und der goldene Finger ihren Einsatz für Samstag aufgehoben, um mit frischem Wind in die Blockaden zu wehen. Am Samstagmorgen wurden alle Busse nochmals gefüllt sowie ein eigener Fahrradfinger organisiert. Es zeichnete sich bereits ab, was kommen sollte: Alle Aktivist*innen sammelten sich im Eastsidecamp und brachen dort gemeinsam gegen Mittag auf. Es kam zwar recht schnell zu Polizeikontakt und zu teilweise heftigem Schlagstockeinsatz, doch konnte sich der Großteil der Gruppe über Straße, Wiesen und Felder weiter Richtung Gleise bewegen. Dabei wurde stets auf die Einhaltung des Aktionskonsenses geachtet und die uniformierte Begleitung soweit wie möglich einfach ignoriert.
Während die Polizei mit großem Personaleinsatz das Kraftwerk Niederaußem sicherte, bewegte sich der Finger mal als große Gruppe, mal in kleinere Finger aufgeteilt zielstrebig Richtung Nord-Süd-Kohlebahn. Als die Polizei das auch verstanden hatte, entwickelte sich ein Wettlauf; nur mit massivem Gewalteinsatz vermochte die Polizei die unbewaffneten Aktivist*innen teilweise noch vor den Bahngleisen zu stoppen. So wurden mehrere Hundert Menschen in Spuckweite der Gleise gekesselt und stundenlang in der prallen Sonne auf einem bereits geernteten Acker festgehalten. Doch es hatten auch Hunderte auf die Gleise geschafft.
Dort wurde nun an einem Manifest für Klimagerechtigkeit gearbeitet oder auch einfach ausgelassen gefeiert. Besonders der queerfeministsche Finger, der bereits im Vorhinein viel inhaltliche Arbeit geleistet hatte, verlegte sich nun auf ausgelassenes Feiern. Gründe gab es genug: Nachdem durchgezählt worden war, konnte festgestellt werden, dass es der gesamte Finger auf die Gleise geschafft hatte. Und nach einigen Stunden erhielten die Aktivist*innen in ihrer Blockade unter den neidischen Blicken der Polizei frisch gebackene Pizza aus dem Klimacamp. Auch Teile des roten und des orangen Fingers und mehrere versprengte Gruppen hatten es auf die Schienen geschafft.
So schade es also war, dass ein riesiger Kessel auf dem Feld saß: es hatte dennoch eine Vielzahl von Aktivist*innen geschafft, die Nord-Süd-Kohlebahn ein weiteres Mal für viele Stunden zu blockieren. Die sichtlich genervte Polizei agierte in den entstandenen Kesseln mit zunehmender Härte. Dass die buntgeschminkten Aktivist*innen in den Kesseln primär sangen und feierten, schien die Staatsgewalt eher zu erbosen als zu entspannen. Nach knapp neun Stunden Blockaden waren die letzten Menschen von der Schiene geräumt – und im RWE-Pausenwagon abtransportiert worden. Einmal mehr arbeiteten RWE und Polizei zusammen und unterstützten sich gegenseitig; Dies war schon 2015 in ähnlicher Weise passiert und schon damals ein Skandal: Großkonzern und Staatsgewalt Hand in Hand gegen den Protest im Rheinland.
Wenngleich an diesem Abend viele Aktivist*innen nicht in die GeSa gebracht wurden, traf es wieder Hunderte. Eine Person, die nicht aus Deutschland kommt, schildert ähnliches Polizeiverhalten wie am Freitag:
„The actions and arrogance of power I witnessed in Mönchengladbach seriously undermined my view of Germany as a lawful country. I am sad to say that what I witnessed were minor issues compared to what I heard from my friends from other busses. When we were talking about our experiences on our way home many locals were genuinely horrified by the actions and ignorance of police. If your strategy was to show that current political and by extension law enforcing systems are failing, you suceeded.“
„Die Handlungen und die Arroganz der Macht, deren Zeuge ich in Mönchengladbach wurde, haben meinen Blick auf Deutschland als Rechtsstaat deutlich ins Wanken gebracht. Traurigerweise muss ich sagen, dass das, was ich selber gesehen habe, relativ unbedeutend war im Vergleich zu dem, was Freund*innen in anderen Bussen passiert ist. Als wir auf dem Heimweg über unsere Erlebnisse sprachen, zeigten sich auch viele Leute aus Deutschland ernsthaft verstört von der Handlungsweise und Ignoranz der Polizei. Wenn Eure Strategie war zu zeigen, dass aktuell die politischen Systeme – und damit auch Mechanismen zur Rechtsdurchsetzung – nicht mehr funktionieren, dann ward Ihr erfolgreich.“
Die Polizei-Repression vor und während der Aktionen war eindeutig stärker als während der Ende Gelände Aktionen in den letzten beiden Jahren; die Ereignisse während des G20-Gipfels in Hamburg sowie die öffentlichen Diskussionen danach dürften hierzu beigetragen haben. Dabei wurde von der Polizei nicht beachtet, dass Ende Gelände einen auf Deeskalation ausgerichteten Aktionskonsens hat, der während der Aktion auch eingehalten wurde. Das Handeln der Polizei erschien vor diesem Hintergrund oft unverhältnismäßig und damit auch rechtswidrig.
Ende Gelände bricht mit seinen Aktionen Gesetze und wird dies voraussichtlich auch in Zukunft tun, um für eine gerechte Welt zu kämpfen. Die Missachtung einer privaten Grundstücksgrenze, und im weiteren Sinne die Missachtung des Rechts auf Eigentum (für deutsche Privatkonzerne), kann nie höher gewichtet werden als globale Klimagerechtigkeit.
Der kompromisslose Einsatz für Klimagerechtigkeit war allen Camps, Gruppen und Aktionen während der Aktionstage im Rheinland gemeinsam. Es gelang, dem Thema „sofortiger Kohleausstieg!“ an vielen Stellen Aufmerksamkeit in den Medien zu verschaffen. Letztendlich ermöglichte das Flächenkonzept, dass verschiedene Gruppen und Strukturen es mit unterschiedlichen Aktionsformen – von der Menschenkette beim Hambacher Forst bis zu den Kleingruppen, die Förderanlagen blockierten – es gemeinsam schafften, vielen Menschen die Problematik der Braunkohleindustrie aufzuzeigen. Dabei ging es diesmal im Nachgang nicht um Gewalt, sondern um Klimagerechtigkeit – und das wird es auch im November wieder!