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Bewegung kommt von Bewegung!
Einige Anmerkungen zum diesjährigen Protest gegen die Braunkohleförderung im Rahmen der Kampagne Ende Gelände.
Als Anti-Atom-Büro Hamburg haben wir uns seit Beginn der Anti-Castor Bewegung 1994 immer wieder organsatorisch aber, auch inhaltlich in den Widerstand gegen Atomanlagen eingebracht, aktuell bei der Kampagne gegen Urantransporte durch den Hamburger Hafen. An Protesten gegen den Betrieb fossiler Kraftwerke sind wir spätestens seit den Aktionen der Kampagne Gegenstrom 2008 im Rahmen des gemeinsamen Antira / Klimacamps in Hamburg beteiligt. Zusammen mit anderen Gruppen haben wir in der Mobilisierung gegen den G8 in Heiligendamm inhaltlich Position gegen ein nuklear-fossiles Energieregime bezogen.
Kurz und gut, wir sind schon etwas länger in einer Bewegung gegen fossiles Denken unterwegs und möchten auf diesem Weg unsere Gedanken zu den diesjährigen Protesten gegen den Braunkohletagebau in der Lausitz in die Debatte einspeisen.
Wie unschwer zu erkennen ist, ist unser Blick auf die Kampagne kein neutraler. Unser Wissen um taktische Entscheidungen in Aktionen überwiegt unsere Erfahrung in der Pressearbeit bei weitem, doch für die Bewegungsaspekte der Kampagne fühlen wir uns kompetent genug um uns zu äußern.
Ein Erfolg auf vielen Ebenen
Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass die Kampagne „Ende Gelände 2016°“ ein großer Erfolg war und das auf vielen Ebenen!
Es war phantastisch mitzubekommen, wie immer neue Busse voller interventionsbereiter Menschen aus ganz Europa im Camp eintrafen und eine Internationalität entstand, die wir jenseits von Gipfelereignissen so nicht kannten. Auch die Tatsache, dass die Plena zum größten Teil auf Englisch abgehalten wurden, und dies nicht nur als lästiger Service galt, war ein tolles Erlebnis. Selbst die Aktionsplena der Finger waren zu einem guten Teil auf Englisch, ein Level an Internationalität, das wir in der Anti-Castor Bewegung nie erreicht haben.
Auch die Aktionslogistik hat in eindrucksvoller Weise die räumliche und zeitliche Dynamik der Kampagne unterstützt. Wo immer Aktivist_innen auftauchten, konnten sie damit rechnen, dass ihnen die Infrastruktur hinterherhechtete und so vermied, dass die Aktionen ausgehungert werden konnten (wer rechnet schon wirklich damit, mehrere Tage auf einem Bagger zu sitzen). Spontane Mahnwachen und Infopunkte wurden mit Pavillions und Dixis ausgestattet, als wäre dies über Monate geplant worden (was es nicht war), und es schien, als hätten nur die Räumung bzw. Naziangriffe verhindern können, dass in Schwarze Pumpe und Terpe die ersten Betonfundamente alternativer Informationszentren
gegossen wurden. Ein fettes Lob und Dankeschön an die entsprechenden Personenkreise.
„Ausweitung der Kampfzone“
Neben der tollen Organisation und der beeindruckenden Internationalität liegt der maßgebliche Erfolg
der Kampagne „Ende Gelände 2016“ jedoch in der „Ausweitung der Kampfzone“, in der Herstellung und Nutzung von Spielräumen für die Bewegung.
Vorsicht Falle!
„Ende Gelände 2015“ war mit der ersten Massenaktion diesen Ausmaßes in einer bundesdeutschen Kohlegrube und einer beeindruckenden internationalen Beteiligung ein großer Erfolg. Gleichzeitig schien aber kurz vor den Baggern eine sehr bedrohliche Tendenz auf. Die Tendenz, zu Gunsten einer dogmatischen Auslegung eines Aktionskonsenses die grundlegende Dynamik in der Aktion zu verlieren. Nach gut 12 km langem Marsch, taktisch klugen Manövern und viel Krafteinsatz, gab sich der pinke Finger beispielsweise damit zufrieden in einen Polizeikessel hineinzulaufen und nicht angesichts der zahlreich herumstehenden Bergbaumaschinen andere Aktionsziele anzugehen.
So beeindruckend die Aktion war, so sehr barg sie unserer Wahrnehmung nach die Gefahr, dass sich die Kampagne Ende Gelände durch eine rigide Auslegung des Aktionskonsenses letztlich selbst fesseln und für das Gegenüber berechenbar machen würde.
Ein kurzer Blick zurück
Genau diesen Fehler beging in den Jahren nach 1997 die Kampagne „X-tausend Mal“ quer, der es nach einer beeindruckenden Sitzblockade vor dem Verladekran in Dannenberg in den folgenden Jahren nicht gelang, für die Transporteure unberechenbar zu bleiben. In den letzten Jahren richtete sich die Kampagne immer wieder Tage vor dem Transport am Ende der Transportstrecke ein und wurde somit für die Polizei eine berechenbare Größe, die viele Aktivist_innen an einem berechenbaren Ort band, und längst abgeräumt war, wenn sich der Strassentransport sich in Bewegung setzte.
Wohlgemerkt, es geht uns hier nicht darum, alte Anti-Atom-Wäsche zu waschen, sondern Erfahrungen aus früheren Bewegungszyklen der aktuellen Bewegung zur Verfügung zu stellen.
Als Gegenbeispiel mag daher eine andere gewaltarme Aktion dienen, „Widersetzen“, die es schaffte, einen recht elastischen Aktionskonsens zu erarbeiten und mit ihrer Aktion weit vorne an der Transportstrecke und erst kurz vor dem Transport eine Sitzblockade zu organisieren. So gelang es „Widersetzen“ 2011 mit rund 6000 Menschen für viele Stunden mitten im Wald eine Sitzblockade zu organisieren, die für die Polizei in diesem Ausmaß und an diesem Ort nicht vorherzusehen war. Und es wurde geschottert, was das Zeug hält. Weniger als militante Aktion, sondern vielmehr als spontane Erweiterung des Aktionskonsenses, der für die Beteiligten schlüssig und nachvollziehbar war.
Form follows function
In diesem Sinne wünschen wir uns auch bei „Ende Gelände“ ein dynamisches Verhältnis zum Aktionskonsens, denn dieses Format der gemeinsamen Absprache ist ein höchst zweischneidiges Schwert. Zunächst wird ein Aktionskonsens ja vereinbart, um die Bedingungen in einer Aktion für die Beteiligten berechenbar zu machen und damit einem großen Kreis von Personen den Zugang zur Aktion zu ermöglichen. Wohlgemerkt: es geht bei einem Aktionskonsens nicht darum, ob Gewaltfreiheit oder der Verzicht auf bestimmte Aktionsformen generell und moralisch richtig sind, sondern um eine taktische Einschätzung, welche Interventionsformen für einen großen Teil der Aktivist_innen tragbar sind. Aus diesem Grund unterscheiden sich der Aktionskonsens von „Castor?Schottern!“, „Ende Gelände“ und „Widersetzen“ und das ist gut so.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung wurde bei „Castor?Schottern!“ das Format des Aktionsbildes entwickelt, welches statt eines Verhaltenskodex den sozialen Aggregatzustand in der Aktion und das Aktionsgeschehen bildlich beschreibt. Vorteil dieses Verfahrens ist es, dass die Phantasie die es bei den Aktivist_innen auslöst, eher darauf gerichtet sind wie ihr eigener Beitrag zu diesem Bild aussehen
könnte, und weniger darauf wie die Einhaltung eines Verhaltenskodex durchgesetzt werden kann ( welches Tun und Handeln ist auf der Liste guter, welches auf der Liste ausgeschlossener Verhaltensweisen).
In einer Aktion kann es Situationen geben, in denen eine Ausweitung des Aktionskonsenses für die Beteiligten nachvollziehbar oder gar nötig wird. Sei es, nach Stunden des Wartens auf die Polizei doch
anzufangen zu schottern wie bei „Widersetzen“, oder taktisch richtigen zu entscheiden,über den Aktionskonsens hinaus, von der Schiene zum Kraftwerk und aus der Grube zur Verladestation zu gehen, wie bei „Ende Gelände 2016“.
Ein Aktionskonsens muss eben für die Beteiligten den verbindlichen Rahmen des Charakters der Aktion herstellen und nicht nach außen eine freiwillige Selbstkontrolle inszenieren.
Mit eben dieser freiwilligen Selbstkontrolle rechnete Vattenfall, als sie uns die Grube überließen, und aus den Erfahrungen von 2015 hätte ja auch folgen können, dass wir uns damit zufrieden geben, ein paar Bagger zu besetzen.
Wir sind sehr froh und halten es für eine entscheidende Qualität der Aktionen in der Lausitz, dass die Kampagne nicht in diese weit aufgespannte Falle getappt ist, sondern strategisch / taktisch elastisch auf die unerwartete Situation am Freitagabend reagieren konnten. Dazu gehört neben einer aktionstechnischen Phantasie die Flexibilität der Fingerstrukturen, sich auch neuen Zielen zuzuwenden und die Bereitschaft der Logistik, das zu unterstützen. All dies war in Proschim vorhanden – phantastisch.
Kohleausstieg selber machen
Es ist für eine Bewegung überlebens-notwendig, sich selbst und die eigenen Ziele ernstzunehmen. Das Ziel, durch eine direkte Intervention den Betrieb von Kohlekraftwerken anzugehen, erschöpft sich eben nicht in der medialen Vermittlung von Bildern dieses Vorhabens, sondern muss auch den praktischen Versuch umfassen, es umzusetzen.
Das taktische Nachsetzen, Weitergehen, ja, „aus dem Ruder laufen“ war die eigentliche Stärke von Ende Gelände 2016. Es war toll zu sehen, wie sich am Samstagmorgen 1500 Menschen im Camp auf den Weg zu den Schienen machten, aber es war erst recht beeindruckend mitzubekommen, dass sich das Plenum des Fingers nach Erreichen der Schienen entschied zum Schieneknotenpunkt am Kraftwerk weiterzugehen. Und es war ein wirklicher Meilenstein, dass sich so viele Menschen dann von dort aus auf den Weg aufs Kraftwerksgelände gemacht haben, wohl wissend, dass die Fingerstrukturen diesem letzten Schritt nicht mehr folgen konnten.
„Wir meinen es ernst mit der Stilllegung der Kohleverstromung“ wurde in den Momenten ganz konkret, als nicht einfach an einem vorbestimmten Ort „Ende im Gelände“ war, sondern die Menschen in der Aktion diese in die Hand nahmen, sich von den Strukturen der Kampagne lösten und eigenständig „aus dem Ruder“ gelaufen sind. An dieser Stelle wird die Kraft der Bewegung unmittelbar sichtbar. Indem sich die Leute in ihrem Ziel das Kraftwerk stillzulegen selber ernst nahmen, waren sie in der Lage, genau dorthin zu gehen, wo es den Betreibern wirklich weh tat und wofür es von der Kampagne keine Pläne geben konnte.
Das durch diese Entschlossenheit ausgelöste Wutgeheul von Polizei, Betreibern und Politik zeigt deutlich, dass wir nach zwei Tagen der Umarmung endlich den Druckpunkt gefunden hatten, an dem es dem politischen Gegenüber weh tat.
Choreographie
Neben der Ausweitung der Aktionsbereiche durch die Kampagne gab es zahlreiche Kleinaktionen, Lock-ons, Abseilereien und Pyramiden, die sich ausgesprochen produktiv in das Aktionsgeschehen einfügten und deutlich zur Nachhaltigkeit der Aktionstage beitrugen. Auch dieser Punkt ist eine Weiterentwicklung zu 2015.
Wermutstropfen
Um nicht ganz euphorisch abzugleiten, muss an dieser Stelle auf den nicht nur kulinarischen Schwachpunkt des Camps hingewiesen werden. Es war außerordentlich schade, dass den Menschen, die so zahlreich in der Lausitz unterwegs waren, nicht genügend Essen mit auf den Weg gegeben werden konnte, und sich die Vokü dabei auch sehr rigide zeigte.
Ein zweiter weitaus dramatischerer Punkt, ist die Tatsache, das wir offensichlich nicht in der Lage waren, adäuquat auf die Bedrohung durch Nazis einzugehen, obwohl an diesem Ort eindeutig damit zu rechnen war.
Blick nach vorn
Segen und Fluch der Bewegungs-kampagnen ist es, wachsen zu können, aber auch zu müssen. Jedes Kampagnenereignis muss das vorhergehende übertreffen, um weiterhin die Hoffnung vermitteln zu können, im Moment der wichtigste Interventionsort der Bewegung zu sein. Das ist sehr bedauerlich, aber anscheinend nicht ad hoc zu ändern. Auf lange Sicht hilft da nur, kontinuierlich soziale Orte des Widerstandes aufzubauen, und sich selbst ein Kampagnenhopping zu versagen. Nur so kann es gelingen nach dem Abbruch eines Bewegungszyklus den Widerstand zu reorganisieren und nachhaltig wirken zu lassen, wie es im Wendland gelungen ist.
Für Ende Gelände 2017 heißt es aber auch, das Aktionsfeld räumlich und inhaltlich zu erweitern und den Konflikt mit den Energiekonzernen weiter zu eskalieren. Die Dynamik der Kampagne 2016, mit der räumlichen Erweiterung (von der Mine an die Infrastruktur, an die Schiene, ans Kraftwerk) und der zeitlichen Streckung der Aktionen gilt es also aufrechtzuerhalten und wenn möglich weiter zu steigern. Mit den Aktivitäten rund um den Hambacher Forst bietet sich eine Gesamtchoreographie an, die den Rahmen von 2016 noch einmal erweitert. Wir sind uns sicher, das die Gruppen im Rheinland und der organisatorische Kern der Kampagne dazu in der Lage sind, und wollen sie auf diesem Weg ermutigen den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.
Glück auf! – Für eine Gesellschaft in der Atomanlagen nicht möglich sind!
Anti-Atom-Büro Hamburg
im Juni 2016