Interview zu EGGE in der ak 639

(EGGE = Ende Gelände Goes Europe) – Wir stellen euch hier quasi ganz exklusiv das Interview zur Verfügung, das in der aktuellen Ausgabe der ak – Analyse und Kritik vom 19.06. erschienen ist.

Erschienen in ak – analyse & kritik Nr. 639 vom 19.6.2018, www.akweb.de

Grenzen überwinden

Dora Heinamenn und Josef Patočka über die Mobilisierung von Ende Gelände Goes Europe zu zwei Aktionen in den Niederlanden und in Tschechien

Das Anti-Braunkohle Bündnis Ende Gelände unterstützt diese Jahr zwei Massenaktionen Zivilen Ungehorsams im europäischen Ausland, Code Rood in den Niederlanden und Limity Jsme My in Tschechien. . Ende Gelände sprach mit Dora Heinemann von Code Rood und Josef Patočka von Limity jsme my über die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen.

Interview: Ilana Krause

Ende Gelände mobilisiert für 2018 unter dem Label Ende Gelände Goes Europe (EGGE) zu zwei Aktionen in den Niederlanden und in Tschechien. Was sind die politischen Beweggründe von EGGE und warum sollten deutsche Aktivist_innen dahin fahren?

Dora Heinemann: Das Bündnis Code Rood konzentriert sich in seinem aktuellen Kampf auf die Gasförderung in der Region bei Groningen. Obwohl die niederländische Regierung – aufgrund des großen öffentlichen Drucks – vorgibt, bis 2030 komplett aus der Gasförderung auszusteigen, richtet sich unser Kampf nicht nur gegen die Gasförderung, sondern dreht sich auch um die Belange der Menschen in Groningen. Seit Jahren sind diese Menschen von kleineren Erdbeben betroffen. Einige haben ihre Häuser verloren, die Orte, an denen sie aufgewachsen sind. Neben den materiellen Schäden sind sie auch enormem Stress und großen Ängsten ausgesetzt. Entschädigungen gibt es nur unzureichend.

Wofür setzt sich Code Rood ein?
Dora Heinemann: Code Rood fordert, dass diese Menschen Gerechtigkeit erfahren und dass NAM (Shell/Exxon), der Konzern, der für die Gasförderung in der Region verantwortlich ist, sich entschuldigt und für die Missachtung ihrer Rechte und Schäden bezahlt. Im Oktober wird ein neuer Vertrag mit NAM ausgehandelt. Wir wollen mit unserer Aktion im August den Druck auf die Verhandelnden erhöhen.

Was für eine Aktion plant ihr?
Dora Heinemann: Die Aktion wird eine Sitzblockade auf der Straße hin zu einem Gaskondensatlager sein. Das flüssige Gaskondensat fällt bei der Erdgasförderung an und wird zum Teil mit LKWs von den Bohrlöchern zum Lager gefahren. Wenn es nicht mehr abtransportiert werden kann, muss die Gasförderung eingestellt werden.Darüber hinaus steht Code Rood auch für eine nachhaltige Gesellschaft, die nicht auf fossile Energieträger angewiesen ist. 2017 haben wir den Kohlehafen in Amsterdam blockiert und wir werden weiter gegen die fossile Industrie kämpfen – in den Niederlanden und als Teil einer internationalen Bewegung. Selbst aus Nigeria werden sich Aktivist_innen in Groningen Code Rood anschließen – das ist ein fantastisches Gefühl. Wir sind sehr glücklich über das EGGE-Projekt und zu wissen, dass es Unterstützung von einem so inspirierendem Bündnis wie Ende Gelände gibt.

Josef Patočka: Tschechien gehört zusammen mit Deutschland und Polen zu den »Kohleländern« Europas, hier wird zum großen Teil Braunkohle gefördert. Nordböhmen in Tschechien ist das Zentrum der dreckigen Kohleindustrie, eine der größten CO2-Schleudern Tschechiens und die viertgrößte der EU. Mehr als 80 Ortschaften und Dörfer wurden für den Tagebau zerstört. Unsere Gruppe Limity Jmse My hat sich 2015 gegründet mit dem Ziel, die drohende Tagebauerweiterung zu verhindern. Teilweise haben wir es geschafft, dem Tagebau Einhalt zu gebieten, es gab jedenfalls keine weiteren Umsiedlungen. Aber wir wussten von Anfang an, dass das nicht reicht. Die Klimakrise macht es unerlässlich, aus der Kohle auszusteigen und der Zerstörung, die sie verursacht, Einhalt zu gebieten. Wir versuchen, eine Bewegung von unten aufzubauen und uns bei konkreten Kämpfen einzubringen.

Was steht bei Euch als nächstes an?
Was aktuell ansteht, ist die Möglichkeit, das älteste und dreckigste Kohlekraftwerk abzuschalten – sofern es nicht privatisiert wird und der Privatinvestor dann eine Ausnahmegenehmigung erhält, um es für Jahrzehnte weiter laufen zu lassen. In diesen Kampf wollen wir intervenieren und in unserer Analyse bedeutet dies, das Narrativ der Klimagerechtigkeit und des Ausstiegs aus der Kohle ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte zu bringen. Ziviler Ungehorsam hat sich dafür als sinnvolles Mittel bewährt und viele von uns sind von der Teilnahme an Anti-Kohlekämpfen in Deutschland beeinflusst. Natürlich ist es daher sinnvoll, mit solchen Bewegungen zusammenzuarbeiten. Diese Solidarität inspiriert uns und gibt uns Stärke – wir freuen uns also auf deutsche Aktivist_innen beim Camp.

Code Rood und Limity Jsme My sind von Ende Gelände inspiriert. Was sind Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Code Rood, Limity Jsme My und Ende Gelände?

Dora Heinemann: Die Struktur von Code Rood ist der von Ende Gelände sehr ähnlich. Einige Arbeitsgruppen mögen sich unterscheiden, aber organisatorisch gibt es große Ähnlichkeiten. Der Hauptunterschied ist, dass unsere Organisation sich gegen den Energieträger Gas und nicht gegen Kohle wendet. Das liegt natürlich an der Region. Die Menschen in der Region sind uns gegenüber sehr offen und begrüßen, dass wir sie in ihrem Kampf gegen NAM unterstützen. Das hilft beispielsweise bei der Campplanung. Die Aktionsstrategie ist auch etwas anders, da wir keine Grube besetzen, sondern den Ort des Gasabbaus und somit den Abbauprozess stören. Die Bewegung ist nicht so groß wie bei Ende Gelände, da sie sich erst 2016 gegründet hat. Die Blockierung des Hafens in Amsterdam war die erste Aktion zivilen Ungehorsams in den Niederlanden seit 30 Jahren!

Josef Patočka: Ich denke, der Ausflug tschechischer Aktivist_innen in die Lausitz 2016 war der entscheidende Moment für uns, darüber nachzudenken, ein Klimacamp in Tschechien zu organisieren. Es hat sehr geholfen, auf die Erfahrungen aus der deutschen Bewegung aufzubauen. Auch die Aktion 2017, bei der Bagger und Grube zeitweise blockiert wurden, war ähnlich – 150 Personen in weißen Anzügen haben eine Grube besetzt. Das war seit Jahren die größte Aktion zivilen Ungehorsams im umweltpolitischen Bereich in Tschechien und völlig neu für uns. Wichtige Unterschiede gibt es in der politischen Kultur.

Was sind das für Unterschiede?
Das Erbe der staatssozialistischen Diktatur, deren Wachstumsbesessenheit unsere Schwer- und Kohleindustrie erst hervorgebracht hat, erschwert es heute, eine umfassendere Gesellschaftskritik zu üben. Es gibt eine starke antikommunistische Haltung – auch in den Gemeinden und Gruppen, die heute gegen Kohle kämpfen. Wir versuchen, offen zu arbeiten und einen Dialog zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen voranzutreiben. Bewusst vermeiden wir einige antikapitalistische Rhetoriken und Symbole, die im Westen typisch sind. Für mich als Person aus der radikalen Linken ist das eine heikle Gratwanderung. Aber ich weiß ja auch, dass ich gegen fossiles Kapital effektiv nur als Teil einer breiteren Bewegung kämpfen kann. Ich muss eben auch bei theoretischen Erwägungen Abstriche machen für eine gemeinsame Sache.

Wie kann ich teilnehmen an Code Rood und Limity, wo kann ich Infos bekommen und mich einbringen?

Dora Heinemann: Ihr könnt euch innerhalb von Deutschland an Ortsgruppen von Ende Gelände wenden. Aber auch in Frankreich und England zum Beispiel mobilisieren lokale Klimagruppen zu Code Rood. Oder ihr schaut einfach auf unsere Website code-rood.org oder tragt euch in unseren Newsletter ein.

Josef Patočka: Am einfachsten ist es über die nächste Ende-Gelände-Gruppe – es gibt zum Beispiel Busse aus Berlin und Leipzig und eine gemeinsame Fahrradtour aus Dresden. Alle die zum Camp mitkommen wollen, können sich gerne anschließen, egal ob sie lediglich an Workshops des Camps teilnehmen wollen oder anderweitige Pläne haben. Aber auch auf unserer Website www.limityjsmemy.cz gibt es Infos in Deutsch und Englisch – mehr und mehr, je näher das Camp rückt. Auch der exakte Ort des Camps in Nordböhmen wird dort bekannt gegeben.

Ilana Krause ist unter anderem aktiv bei Ende Gelände

 

Code Rood (spricht sich aus wie ‘Kohde Rot’) Code Rood (Kode Rot) aus den Niederlanden ist ein Zusammenschluss von Gruppen, die 2017 erfolgreich den Kohlehafen in Amsterdam blockiert haben. Code Rood organisiert vom 24. bis 31. August 2018 ein Klimakamp in der Groninger Gasregion. Eine große Aktion des Zivilen Ungehorsams wird am 28. August stattfinden, Tag des Gronings Ontzet. Dieses Mal konzentrieren sie sich auf das große Unrecht der Gasextraktion in Groningen.

Limity Jsme My (Wir sind die Grenzen) ist eine Graswurzelbewegung die seit 2015 gegen die Aufweichung der festgelegten Grenzen der Tagebaue in Tschechien protestiert und 2017 das erste tschechische Klimacamp organisiert hat.


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NEWSLETTER KLIMA-ANTIREPRESSION # 24 – März 2024

31. März 2024 Hallo, es gibt eine Menge Neuigkeiten: Nach der Lüterzath-Räumung trudeln jetzt die ersten Verhandlungstermine ein, das Hafturteil gegen ein*e BlockNeurath-Aktivist*in wurde aufgehoben, aber auch sonst gibt es jede Menge Prozesse, von denen wir vermutlich nur einen Bruchteil thematisieren können. Für die Weiterbildung haben wir uns diesmal mit dem Vorwurf der Nötigung beschäftigt, der uns vor allem bei der Verfolgung von allen möglichen Blockaden beschäftigt. Und natürlich: AntiRRR gibt es jetzt schon über 10 Jahre. Aber lest selbst. Weiterlesen ...