Limity jsme my – ein Erfahrungsbericht

Ankunft & Campleben

Wir kommen Donnerstagmittag auf dem Camp an. Ein großes Banner begrüßt uns: „Nechte Uhli At Si Uhli“ (ein schwer übersetzbares Wortspiel, in etwa: „Let the coal coal out itself“). Wir sind nicht die ersten Deutschen, viele deutsche Aktivist*innen, die als Teil von „Ende Gelände Goes Europe“ die tschechische Aktion unterstützen wollen, sind schon da. Es ist mein erstes Klimacamp im Ausland und zudem meine erste Reise nach Tschechien.

Nachdem wir unsere Zelte aufgebaut haben, nehmen wir an einem Workshop zu den rechtlichen Grundlagen teil. Viele Teilnehmer*innen waren im vorherigen Jahr bereits bei der letzten Aktion dabei und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. Es geht insbesondere um die Zeit im Polizeigewahrsam und Risiken der Strafverfolgung. Auch negative Erfahrungen der letzten „Limity“-Aktion spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Schilderungen von unberechenbarem und erniedrigendem Verhalten seitens der Polizei machen mir Angst. Demnach wurden im letzten Jahr Aktivist*innen in Gewahrsam ihre Rechte verwehrt. Ein internationaler Aktivist wurde 48 Stunden festgehalten, viele wurden gezwungen, sich auszuziehen. Auch wenn der Workshop einige Fragen offen lässt, fühle ich mich über meine Rechte als nicht-tschechische Aktivistin gut informiert.

Nach dem Workshop verbringen wir einen ruhigen Abend auf dem langsam anwachsenden Camp. In familiärer Atmosphäre wird uns ein mittelalterlich anmutendes Konzert dargeboten. Es musizieren vier in weiße Gewänder gehüllte Männer, und führen bescheidene Spektakel, wie etwa das Entzünden von Flammen mit einem Deodorant, vor. Ich amüsiere mich köstlich. Die Organisator*innen des Klimacamps wissen offensichtlich politische Arbeit mit Lebensfreude zu verbinden.

Freitag: Tag der Aktionsvorbereitung

Am Freitagmorgen wache ich zerknautscht im Zelt auf und genieße die verschlafene Stimmung auf dem Camp. Eine Gruppe von Menschen steht im Kreis und macht Yoga – freudig schließe ich mich an. Nach dem Frühstück beginnt der Plenums-Marathon (Campplenum, Fingerstruktur-Plenum, Bezugsgruppenplenum). Meine Bezugsgruppe und ich entscheiden uns die Aufgabe der Pressebegleitung für unseren Finger zu übernehmen. Also lasse ich mich von einem tschechischen Aktivisten aus dem Presseteam einweisen. Er gibt mir eine kurze Zusammenfassung über den tschechischen Braunkohlewiderstand von den 80er Jahren bis heute. Um dem Braukohleabbau platz zu machen wurden bisher 82 Dörfer zerstört, darunter die mittelalterliche Altstadt von Most. Seit 2006 wird die Tagebauerweiterung wieder intensiviert betrieben.

Es ist unfassbar heiß, ich zwinge mich gegen Nachmittag aber trotzdem am Aktionstraining teilzunehmen. Im besten Fall führt es dazu, dass wir sowohl als Bezugsgruppe als auch als Finger stärker zusammenwachsen und besser auf die Aktion vorbereitet sind. Der Aktionskonsens von Limity enthält eine klare Absage an das Durchbrechen von Polizeiketten. Physischen Kontakt mit der Polizei gilt es gänzlich zu vermeiden. Also üben wir ein paar Mal das Durchfließen und verständigen uns auf gemeinsame Handzeichen.

Am frühen Abend packe ich dann vorfreudig meinen Aktionsrucksack. Wie sich etwa 24 Stunden später herausstellt, begehe ich dabei einen entscheidenden Fehler: ich packe keine warme Kleidung ein!

Auf dem gemeinsamen Aktionsplenum um 19 Uhr erfahre ich, dass es insgesamt vier Finger geben wird, darunter einen Fahrradfinger. Außerdem sollen Kleingruppenaktionen stattfinden. Das Camp hat sich mitlerweile gut gefüllt. Einige Bezugsgruppen stimmen sich schon auf Protestsongs ein oder formulieren altbekannte Schnulzen zu Anti-Kohle-Liedern um.

Samstag: Aktionstag

Als wir noch etwas verschlafen unseren dünnen Kaffee schlürfen, ertönt eine Megaphon-Durchsage: Eine Kleingruppe ist bereits im Tagebau. Die nächste wird dort in ein paar Minuten ankommen. Das Jubeln der Menschenmenge verleiht mir Energie. Ich erledige noch die letzten Vorbereitungen, ziehe meinen Overall an und checke meine Wasservorräte, als sich auch schon der internationale Finger aufstellt. Im Kopf wiederhole ich permanent die tschechische Parole: „Uhli patri pod zem!“ (engl.: „Coal must stay in the ground“).

Als wir losgehen, bekomme ich von der Stimmung Gänsehaut auf der Haut. Wir laufen an der Küchencrew, dem Legal Team und den Menschen vom Infozelt vorbei, die uns winken und zujubeln. Sie rufen „power to the people,“ wir antworten. Mich bewegen solche Szenen jedes Mal sehr. Wir laufen als angemeldete Demo mit über 400 Personen los, angeführt von roten, grünen und goldenen Flaggen, durch ein niedliches Dorf, dessen Bewohner*innen uns freundlich grüßen. Ich bin erstaunt von dem enormen Polizeiaufgebot, das uns umgibt. Sie sind zu hunderten auf Quads, mit Pferdestaffeln und in Kampfmontur vertreten. Am Himmel sind Helikopter und Drohnen zu sehen. Es wird nicht einfach werden in den Tagebau zu kommen.

Als wir uns dem Tagebau nähern, traue ich mich nicht mehr die Lieder mitzusingen. Ich bin aufmerksam und angespannt zugleich. Jetzt muss bald unsere Abspaltung von der angemeldeten Demo kommen. Wie und wo können wir von hier nur in den Tagebau gelangen? Als wir an der richtigen Stelle ankommen, fangen wir plötzlich an zu rennen. An den Seiten rennt die Bereitschaftspolizei im Abstand von einem Meter an uns vorbei. Es scheint unmöglich sie zu durchfließen. Einige Aktivist*innen schaffen es trotzdem. Der Rest von uns wird sofort eingekesselt. Ein Freund wird brutal von einem Polizisten ins Innere des Kessels geschubst. Wir rufen alle: „Hey, Stop!“ und schaffen es, die Lage zu deeskalieren. Als ein anderer Polizist dann eine Waffe mit Gummi-Geschossen auf einen anderen Aktivisten richtet, durchfährt mich ein ungeheurer Schock. Bloß nicht schießen, denke ich und habe noch Minuten später Herzrasen. Die tschechische Polizei trägt nicht nur Tränengas- und Gummigeschosse bei sich, manche haben sogar Maschinengewehre. Sie schüchtern uns damit sehr ein und schließen den Kessel immer enger um uns. Ein Aktivist ruft der Polizei zu: „You‘re sexy, you‘re cute! Take off your riot suit!“ Wir müssen lachen und sind dankbar dafür, dass jemand die Stimmung auflockert.

Wir machen es uns bequem und gewöhnen uns an die Situation im Kessel. Einige Aktivist*innen, die außerhalb des Kessels eingefangen wurden, werden zu uns gebracht. Wir vertreiben uns die Zeit mit Gesichtsbemalung, Singen und auf Toilette gehen. Es gibt nur eine weibliche Polizistin, die nacheinander ca. 20 Aktivistinnen zu einem schattigen Plätzchen begleitet.

Etwa eine Stunde später beginnt die Räumung. Wer jetzt noch begleitet Pinkeln geht, kommt nicht mehr zurück. Einer davon ist leider auch mein Tandem! Sie holen alle fünf Minuten wahllos einzelne Menschen aus dem Kessel heraus. Wer sich weigert oder sich als Päckchen wegtragen lässt, wird mit Schmerzgriffen malträtiert. Dabei stellt sich jedes Mal ein Beamter direkt vor die Szenerie, um zu verdecken, was passiert.

Die ganze Räumung zieht sich über den ganzen Mittag und Nachmittag hin. Nach meheren Stunden im Kessel bringt uns die Polizei Plastikflaschen und Becher. Sie haben einen englischsprachigen Kollegen gefunden, der uns erklärt, dass wir nicht aus den Flaschen trinken dürfen, sondern er uns die Becher einzeln befüllt. Trotz Unmut, so viel unnötigen Plastikmüll zu produzieren, werden die Plastikbecher angenommen.

Als sich eine Freundin aus meiner Bezugsgruppe weigert, den Kessel zu verlassen, picken sie mich heraus. Ohne Widerstand zu leisten gehe ich mit. Die beiden Polizisten, die mich festhalten, machen auf Tschechisch Witze und versuchen so herauszufinden, ob ich sie verstehe. Sie führen mich zu einem Polizeibus, an dem eine andere Aktivistin gerade durchsucht wird. Auch ich soll meinen Overall und meine Schuhe ausziehen und werde von einer Beamtin abgetastet. Als sie wollen, dass ich etwas unterschreibe, verweigere ich. Sie binden mir ein Bändchen mit einer Nummer um. Darin sitzen bereits sechs Aktivist*innen. Da wir nicht reden dürfen, fragt mich eine mit Handzeichen, ob es mir gut geht. Auf uns ist eine Kamera gerichtet. Direkt nach mir steigt eine Freundin von mir ein, die zu meiner Bezugsgruppe gehört. Erleichtert umarmen wir uns.

Nachdem sich der Bus langsamg gefüllt hat, beginnt die holprige Fahrt zur Polizeiwache. Wir sind 14 Personen und sitzen auf den seitlich angebrachten Bänken, ohne durch Gurte angeschnallt zu sein. Der Fahrer kurvt im Affentempo über die Verkehrskreisel und wir halten uns aneinander fest. Als er die Sirene anmacht, müssen wir lachen. Ich blicke einige Male zur einzigen Polizistin hinüber und habe den Eindruck, dass auch sie den Fahrstil ihres Kollegen albern findet.

Auf der Polizeiwache sitzt bereits eine Gruppe von Aktivist*innen in einer Ecke des Innenhofs. Wir setzen uns dazu und ich vertreibe mir die Zeit mit Seifenblasen. Wir teilen das Essen miteinander.
Die ganze Prozedur dauert eine Ewigkeit. Als ich dran bin, merke ich schnell, dass das noch gar kein Verhör ist. Man will uns nur noch einmal durchsuchen und unser Gepäck beschlagnahmen. Ein Übersetzer kommt zu mir und befragt mich darüber, ob ich meinen Namen angeben will, Medikamente brauche oder etwas trinken will. Zwei weibliche Mitarbeiterinnen führen mich in einen Flur, wo ich erneut die Schuhe ausziehen soll und durchsucht werde. Als ich gefragt werde, ob ich Schusswaffen mit mir trage, muss ich lachen.

Wieder draußen wird mir langsam kalt und ich bedaure es sehr, keine warmen Klamotten mitgebracht zu haben. Beim Gedanken, noch weitere 40 Stunden hierbleiben zu müssen, graut es mir. Also frage ich, ob mir eine Decke gebracht werden kann, leider kann ich keine bekommen. Mit dem Essen haben wir mehr Glück, etwa eine halbe Stunde nachdem wir die Polizei daran erinnern, dass wir alle sechs Stunden das Recht dazu haben, bringen sie uns Essen von McDonalds mit.

Nach dem Essen halten wir ein Deli-Plenum ab. Wir ernennen zwei Sprecherinnen, die sich bei der Polzei für unsere Rechte einsetzen sollen, damit uns endlich ein Telfonanruf und warme Räumlichkeiten genehmigt werden. Die beiden sind erfolgreich und wir werden kurze Zeit später in das Gebäude gelassen. Wir werden in einen Flur mit einem Wasserspender gebracht. Obwohl ich müde bin, hält mich die Aufregung im Raum wach. Ich erfahre, dass der Anruf bewirkt hat, dass unsere Freund*innen vom Camp uns Decken gebracht haben, die jedoch von der Polizei nicht angenommen wurden.

Kurze Zeit später wird meine Nummer aufgerufen. Ich erkenne sie mitlerweile schon auf Tschechisch. Ich zeige mein Bändchen und soll mitkommen. Ich muss mit zwei bewaffneten Beamten in einen sehr kleinen Aufzug steigen. Mein Herz pocht und ich halte es für möglich, dass die Beiden meine Nervosität spüren. Sie bringen mich in den Büroraum, in dem die Befragung stattfindet. Dort sitzt ein Übersetzer neben dem Beamten, der an einem Computer ein Formular ausfüllt. Ich werde gefragt, ob ich essen bekommen habe, Krankheiten habe, und erneut, ob ich meinen Namen angeben will. Ich will weiterhin nicht. Ich verweigere auch, eine Aussage zum Sachverhalt zu machen und möchte kein Formular unterschreiben.

Nach der Befragung komme ich in den Raum, in dem ich erkennungsdienstlich behandelt werden soll. Ich werde in eine Art Fotostudio geführt, in dem drei Fotos von mir gemacht werden sollen. Ich versuche Grimassen zu schneiden, was sich als schwierig herausstellt, weil der Beamte einfach nicht abdrückt, sondern wartet, bis sich meine Gesichtszüge entspannen, bevor er die Fotos schießt. Dann wird mir aus der Mundschleimhaut DNA entnommen und zuletzt die Fingerabdrücke.

Während der langwierigen Behandlung schaue ich mich im Raum um, dessen Möbel und Geräte darauf hindeuten, dass sich hier in den letzten 30 Jahren nichts verändert hat. Mir wird die Diskrepanz zwischen der hochmodernen Kampfausrüstung der Polizeieinheiten am morgen und der altmodischen Einrichtung dieses Verwaltungsgebäudes bewusst. Als dann noch Abdrücke von meinen Handflächen gemacht werden sollen, frage ich: „Again? So slow..“ Einer sagt: „Too slow? This is how we do it. We are communists“ und lacht. Ich darf mir die Hände waschen und werde an den anderen AktivistInnen vorbei in einen engen Flur gebracht, in dem schon andere ED-behandelte Tschechen auf dem Boden sitzen. Ich setze mich dazu und schlafe bald ein.

Die Freilassung

Im Halbschlaf bemerke ich einen Beamten, der länger bei uns herumsteht und richte mich auf, um mein Bändchen zu zeigen. Ich soll mitkommen. Mir wird gesagt, dass ich endlich entlassen werde. Ich wundere mich darüber, dass es bei mir alles so schnell geht und habe fast schon ein schlechtes Gewissen den anderen gegenüber, die noch bleiben müssen. Ich soll ein Formular unterschreiben, das besagt, dass ich meinen Rucksack wiederbekommen habe. Als ich das Gebäude verlasse, warten zwei Menschen vom Camp auf mich und ich werde lange von ihnen umarmt. Mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen laufe ich ihnen hinterher. Sie haben auf einem Parkplatz eine Station mit heißem Tee und Decken aufgebaut. Ich schaue mir das Polizeigebäude von außen an und entdecke den McDonalds, der sich genau daneben befindet und muss schmunzeln. Zurück im Camp erfahre ich, dass die Aktion ein voller Erfolg war und der Tagebau für einen Tag zum Stillstand gebracht werden konnte. Ich denke euphorisch an die nächste „Ende Gelände Goes Europe“ Aktion im August bei Groningen, bevor ich übermüdet in mein Zelt krieche und mich ausschlafe.